100 Jahre
Mandolinen-
orchester
Wanderlust e.V.
1919
2019

Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns in ihnen

Tempora mutantur, nos et mutamur in illis (nach einem Motiv Ovids)

Anlässlich von Jubiläen sind Rückblicke üblich. Die Verleihung der vom Bundespräsidenten gestifteten Pro Musica-Plakette für das langjährige Wirken und die besonderen Verdienste um die Pflege des instrumentalen Musizierens am 30. März 2019 in Gotha war der aktuelle Höhepunkt in der 100jährigen wechselhaften Geschichte des Orchesters. Ohne die vielseitige Einsatzbereitschaft, Liebe zur Musik, freundschaftliche Verbundenheit zwischen den Mitspielern und etwas Glück hätte die Orchestergeschichte auch ganz anders kommen können…


 

Nach der Gründung im Herbst 1919 war der Beginn des II. Weltkrieges 1939 bereits ein erster herber Einschnitt und hätte nach 20 Jahren Mandolinenspiel bereits das Ende für das Orchester sein können. Doch die Musiker, die noch nicht zum Wehrdienst eingezogen worden waren, trafen sich weiterhin zu regelmäßigen Proben in privaten Wohnungen, denn an öffentliche Auftritte war in den Kriegsjahren nicht zu denken. Wichtig war allen der Zusammenhalt und der Fortbestand des gemeinsamen Musizierens, in das dann auch die aus Krieg und Gefangenschaft Heimgekehrten zurückfanden.

Ungemach drohte später von einer ganz anderen Seite: Nach dem altersbedingtem Ausscheiden von Harry Escher, dem Dirigenten und Mitbegründer des Orchesters, als einzigen Mandolinenlehrer an der Musikschule Rudolstadt im Jahre 1960, gab es keine Ausbildung an diesem Instrument mehr. Das Rühren der Werbetrommel führte dann dazu, dass zum Beispiel ehemalige Mandolinenspieler auch aus Saalfeld und anderen Orten der Umgebung wieder zu uns fanden. Es gab auch erfolgreiche Versuche, Violinspieler auf die Mandoline umzuschulen.

Anfang der 1990er Jahre meinte es das Schicksal mit unserem Orchester wieder gut. Mit Jana Bauer kam eine junge Lehrerin für Mandoline und Gitarre an die Musikschulen Rudolstadt und Saalfeld. Sie kam uns vor wie Phönix aus der Asche, als sie sich in einer Probe vorstellte, im Orchester Mitglied wurde und seit dem sich um den musikalischen Nachwuchs bemüht. Ist der dann im Orchester- und Vereinsleben angekommen, beginnt die nächste Zitterpartie: Berufsausbildung, Studium und Arbeitsplatz führen oft mit mit einem lachenden und einem weinenden Auge die jungen Spielerinnen und Spieler in die Ferne. Wer z.B. in Kasachstan bei der Goethegesellschaft arbeitet, kann nicht donnerstags zur Probe kommen.

Bis auf die Generation 60+ kannten die Orchestermitglieder nur einen Dirigenten: Hannes Grübler.

Er hat 35 Jahre und damit länger als seine Vorgänger den Taktstock geführt und das Orchester im Sinne der Gründer geprägt, bis er 2014 plötzlich verstarb. Die Erinnerung an ihn bewegt uns noch alle, zumal er mit allen seinen Sinnen für das Orchester lebte. Sein Arbeitsplatz konnte überall in Deutschland sein, Donnerstag zur Probe fehlte er selten. Wenn es sein musste, organisierte er seinen Zwillingsbruder Michael, um die Probe zu leiten. Beide waren seit 1967 engagierte Gitarristen im Orchester. Während Michael die Musik zum Beruf machte, wurde für Hannes das Mandolinenorchester die schönste und wichtigste Nebensache der Welt.

Es war den Bemühungen von Harry Escher und Wolfgang Gazda, dem langjährigen 1. Vorstand des Orchesters, zu verdanken, Hannes als Dirigenten zu gewinnen. Hannes war bereit, die notwendigen Qualifizierungen zu absolvieren und wieder war die Existenz des Mandolinenorchesters gesichert. Nach dem Tod von Hannes war nun erneut guter Rat teuer.

Der Orchestervorstand war überzeugt, dass Michael Grübler die beste Lösung für unsere Sorgen sei. Michael hatte aber schon andere Pläne, von denen wir uns aber nicht beeindrucken ließen. Mit geballter Überzeugungskraft, dem Appell an die alte Verbundenheit zum Orchester und zu seinem Bruder konnte Michael schließlich bewegt werden, seine Pläne zu überdenken und dessen Nachfolge anzutreten.

Der Gedanke, dass es irgendwie weitergehen soll, hat in 100 Jahren Mandolinenorchester so manches Kopfzerbrechen bereitet. Und dass es immer weiter ging bedurfte guter Ideen und einsatzbereiter Orchestermitglieder. Ich denke, alle Mühen haben sich gelohnt. Wir fühlen uns gewürdigt durch die Auszeichnung mit der Pro-Musica-Plakette, gewürdigt durch die zahlreichen Auftrittswünsche, gewürdigt durch die Treue unseres Publikums und auch dadurch, dass zwei langjährige Mitglieder, Ursula Liebold und Wolfgang Gazda, auf Grund ihres gesellschaftlichen Wirkens vor allem auch im Mandolinenorchester mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurden.

Wir starten zuversichtlich ins 2. Jahrhundert der Zupfmusik in Rudolstadt im Sinne eines unsere Lieblingsstücke von C. Grafschmidt. „Auf geht´s“

Dr. Bärbel Eilenberg

Vom Mandolinenorchester des Rates dese Kreises zum eingetragenen Verein

Ein Beitrag von Wolfgang Gazda

Als Mandolinenschüler von Harry Escher besuchte ich die Konzerte des Mandolinenorchesters, und mein Wunsch war es, auch Mitglied im Orchester zu werden. Ich war sehr stolz, als ich 1952 ins Orchester aufgenommen wurde. Damals war noch nicht abzusehen, dass ich von 1968 bis 2003 den Verein als 1. Vorstand führen würde. In der DDR gab es keine eigenständigen Vereine. Musik- und andere Interessengruppen waren übergeordneten Verbänden, Institutionen oder Betrieben zugeordnet. Unser Orchester bekam auf diese Weise als Träger den Rat des Kreises Rudolstadt…


 

Dieser würde heute dem Landratsamt entsprechen. Wir waren dadurch zwar nicht eigenständig, aber es wurden Probenräume zur Verfügung gestellt, Kosten wurden erstattet und neben den Konzerten, die wir selbst ausrichteten, erhielten wir weitere interessante Auftrittsangebote. Wir spielten vor Botschaftern und Diplomaten, vor Regierungsvertretern und Militärattachés. Wir waren eingebunden in die kulturelle Betreuung der FDGB-Urlauber genauso wie in die  musikalische Ausgestaltung der Jugendweihen und anderer Feste und  Feierlichkeiten von Organisationen in Rudolstadt und der Region.

Problematisch wurde die Gestaltung der Programme für die doch zahlreichen Auftritte und Konzerte. Es wurde überwiegend aus alten Notenbeständen gespielt, da neue Kompositionen für uns nicht zur Verfügung standen. Die Versuche, das Problem zu lösen, führte zu abenteuerlichen Aktionen. Ich nahm z.B. Briefkontakt zu Konrad Wölki, einem der bedeutendsten Komponisten für Mandolinenmusik, in Westberlin auf und traf mich sogar mit ihm. Das führte zu besorgniserregenden Nachfragen von staatlicher Seite. Erst nach der Wiedervereinigung und mit der Hilfe von Frau Gerda Wölki konnten wir Kompositionen ihres Mannes erwerben.

Die Wende brachte neue, zu Teil unerwartete Sorgen und Aufgaben. Wir mussten uns einen anderen Probenraum suchen für den auch noch Miete zu zahlen war. Also machte ich mich auf Sponsorensuche,  eine völlig neue Erfahrung. Die Neugründung des Vereins stand auf der Tagesordnung und es bedurfte mehrerer Anläufe  bis alle bürokratischen Hürden am 4. Februar 1993 genommen waren.

Ich konnte Hans-Jürgen Schwarz, der viele Jahre als Mundartsprecher in entsprechenden Programmen mit uns auftrat, gewinnen, eine Chronik des Mandolinenorchesters zu erstellen. Er legte mit den ersten zwei Bänden den Grundstock für die inzwischen von mir auf 23 Bände erweiterte Vereinschronik mit allen großen und kleinen Freuden und Leiden des Vereinslebens:  Weihnachtsfeiern und Sommerfeste mit 100-jähriger Tradition, Fahrradtouren und Kegelabende, Konzertreisen ins Ausland und gemeinsame Tagesausflüge, Geburten und Abschiede für immer…

In der Chronik habe ich in Text und Bild die Erinnerungen festgehalten an alle Auftritte, unsere Teilnahmen an Landes- und Bundeswettbewerben, die Treffen und Gemeinschaftskonzerte mit befreundeten Orchestern, unsere intensiven Probenwochenenden mit Prof. Kreidler und und und.

Über Menge und Vielfalt bin ich selbst immer wieder erstaunt.

Bei allen Aktionen können die Angehörigen mit dabei sein, so dass der Gedanke an eine große Familie sehr nahe liegt.

Ich wünsche mir, dass es noch lange so bleibt!

Wolfgang Gazda

Ursula Liebold erinnert sich

Enkelin und Tochter der Orchestergünder Willy und Harry Escher

Als ich geboren wurde bestand das von meinem Großpapa Willy Escher und meinem Vater Harry Escher gegründete Orchester bereits acht Jahre. Auch meine Tante Hilde spielte im Mandolinenorchester als einzige Frau mit, kurioser Weise zunächst am Klavier. Extra für sie wurde dann ein Balalaikabass angeschafft. Neben den ernsthaften Proben spielte die Geselligkeit eine große Rolle. Gemeinsame Ausflüge mit und ohne Instrumenten, Hüttenfeste und Skatabende bildeten den familiären Rahmen des Vereins. Die Angehörigen, so auch die Kinder wie ich, waren immer mit von der Partie und bekamen dadurch ganz nebenbei eine enge Bindung zur Zupfmusik…


 

So hatte ich auch Lust, ein Instrument zu erlernen und  mit elf Jahren erhielt ich Gitarrenunterricht bei meinem Großpapa. Er war im Unterricht ein geduldigerer Lehrer als mein Vater. Deshalb habe ich nach seinem Tod 1941 nicht bei meinem Vater weitergelernt und nur noch selten Gitarre gespielt. Später habe ich das sehr bedauert.

Mein Vater hatte 1934 bei Ferdinand Kollmaneck die Staatsprüfung als Musiklehrer für Mandoline und Gitarre abgelegt. Während und auch noch nach dem Krieg probte das Mandolinenorchester unter seiner Anleitung wöchentlich in unserer Wohnung. Ich hätte zu gerne mitgespielt, aber wegen meines strengen Vaters habe ich mich nicht getraut. Erst 1947 wurde ich Mitglied  im Verein.

Großen Wert legte mein Vater, sowohl beim Unterricht als auch bei Orchesterproben und besonders bei Auftritten auf die Qualität  der technischen Fertigkeiten  und des Zusammenspiels. Die Vereinsmitglieder, die ihn noch aus seinen aktiven Zeiten kennen, überlegen auch heute noch, ob wir mit unserem Spiel seinen Anforderungen genügen würden.

1954 wurde mein Vater zum Stellvertretenden Direktor der Musikschule Rudolstadt berufen. Als er 1960 erkrankte, bat man mich, einen Teil seines Gitarrenunterrichtes zu übernehmen, obwohl ich über keine der eigentlich notwendigen Abschlüsse verfügte. Frau Ursula Peters, Dozentin an der Musikhochschule Weimar, bescheinigte mir trotzdem nach Hospitationen pädagogisches Geschick und einen gekonnten Umgang mit dem Instrument – Großpapa  Willy sei es gedankt!

Nach meinen Unterrichtserfahrungen an der Musikschule beschloss ich, mich als Gitarrenlehrerin selbständig zu machen. Seit 1960 unterrichtete ich in unserer Wohnung täglich mindestens fünf Schüler. Ich bin stolz darauf, dass viele von ihnen unentbehrliche Mitglieder im Orchester wurden und zusammen mit den von meinem Vater ausgebildeten Mandolinenspielern zum 100-jährigen Bestehen des Mandolinenorchesters beigetragen haben.

Fünf Spieler gründeten 1999 das Senioren-Quintett – inzwischen -Septett –  des Mandolinenorchesters. Es sind übrigens alle ehemalige Schüler meines Vaters. Wir musizieren, wie früher, einmal wöchentlich in meiner Wohnung. Was als gemütliche Hausmusik gedacht war, wurde schnell zu einem Aktivposten des Orchesters. Wir übernehmen Auftritte im kleinen Rahmen und zu Zeiten, die das große Orchester nicht absichern kann. Seit vielen Jahren spielt die Gruppe mit bei der „Langen Nacht der Hausmusik“ anlässlich der Eröffnung der Thüringer Bach-Wochen.

Ich wünsche mir, dass das Orchester noch viele erfolgreiche Jahre weiter bestehen wird, dass es immer junge Menschen gibt, die sich für Zupfmusik interessieren und die Tradition der  Gründer, und damit meiner Familie, fortsetzen.

Ursula Liebold

Der Zug der Wandervögel in die Karibik

Ein Beitrag von Jana Bauer

In der Aufbruchstimmung nach dem 1. Weltkrieg entstanden innerhalb der Arbeitermusikbewegung in Deutschland zahlreiche Mandolinenorchester, die Laien die Möglichkeit zum gemeinsamem Musizieren boten. Mandoline und Gitarre waren finanziell erschwinglich, leicht zu erlernen und zu geselligen Anlässen auch einfach zu transportieren. Aufs Notenpult kam alles, was populär und leicht zu spielen war, auch ohne musiktheoretische Kenntnisse. Beliebt waren Stücke aus der Wandervogelbewegung wie „Zug der Wandervögel“, einfache Volksweisen oder Liedbearbeitungen bis hin zu Operettenmelodien oder gar dem Gefangenenchor aus Verdis „Nabucco“. Keine Musikrichtung war vor den Zupforchestern sicher…


 

Lange Violinenbögen wurden einfach durch Tremolo ersetzt. Der zirpende Ton der Stahlsaiten war sicher nicht jedermanns Geschmack.

Theodor Ritter komponierte und bearbeitete viele Werke für Zupforchester. Seine vielen Ouvertüren waren prägend für die damalige Zeit.

Ab den 1950er Jahren wirkte der Berliner Komponist Konrad Wölki maßgeblich für die Entwicklung der Zupforchester. Er erkannte im feinen Klang des Mandolinen-und Gitarrentons die Ähnlichkeit zum Cembalo. Wölki beeinflusste wesentlich die Abwendung vom ständigen Tremolieren und die Zuwendung zu barocker oder klassischer Musik, die zu den klanglichen Möglichkeiten im Zupforchester passte.

Mit der Wiedervereinigung ergab sich auch für unser Orchester die Möglichkeit über den Tellerrand zu schauen.Weitere Kontakte zu anderen Orchestern wurden geknüpft. Die mehrmalige Teilnahme am Deutschen Orchesterwettbewerb brachte Austausch und musikalische Anregung bezüglich der Spielliteratur.

Das Repertoire unseres Orchesters umfasst Originalwerke, Bearbeitungen von historischer Musik bis hin zu Filmmusiken, z. B. des Filmes „Fluch der Karibik“ und „Der Pate“, oder Pop- und Jazzstücke. Die vom Vorstand des Orchesters geknüpften Kontakte zu Komponisten, wie z. B. Prof. Kreidler von der Musikhochschule Köln, erleichtern die Modernisierung des Repertoires. Einige seiner Werke durfte unser Orchester uraufführen.

In der Dreierkombination Orchestermitglied, Mandolinen-und Gitarrenlehrerin und Direktorin der Musikschule Saalfeld liegt mir besonders viel an der Ausbildung von Orchesternachwuchs. Für viele meiner Schüler ist das Musizieren im Orchester eine Bereicherung und bietet die Möglichkeit, im Unterricht erworbene Kenntnisse zu vertiefen. Hinzu kommt die Geselligkeit im Verein, die als Bereicherung des eigen Lebens wahrgenommen wird.

Nicht nur Zupfmusiker sind im Mandolinenorchester willkommen. Es gibt eine ganze Reihe von Kompositionen für Mandolinenorchester und einem anderen Soloinstrument, z. B. Flöte, Bass oder Klavier. Die Solisten fanden wir bisher immer in den Reihen unserer Musikschüler, die trotz ihrer Jugend mit erstaunlichen Leistungen verblüfften. Der besondere Moment tritt ein, wenn die Eltern selbst im Orchester mitspielen.

Das gemeinsame Musizieren ohne Altersgrenzen mit Freunden und Verwandten in der Klammer einer Spielliteratur, die Vorlieben zulässt, weniger Beliebtes toleriert und meistens allen gefällt soll auch in der Zukunft die Aktivitäten des Mandolinenorchesters  prägen.

Jana Bauer